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Wehrpflichtiger, Obhausen
27. April 1993 — 23 Jahre

Der 23-jährige Matthias Lüders wurde am 24. April 1993 bei einem Überfall von Naziskins auf eine Diskothek in Obhausen (Saalekreis) tödlich verletzt.

 

Wer war Matthias Lüders?

Matthias Lüders war 23 Jahre alt und absolvierte gerade seinen Wehrdienst, als er bei einem Überfall von Naziskins auf eine Diskothek am 24. April 1993 in Obhausen (Saalekreis) so schwer am Kopf verletzt wurde, dass er zweieinhalb Tage später im Krankenhaus starb.

 

Was ist passiert?

Matthias Lüders besuchte am Abend des 24. April 1993, einem Samstag, mit Freund*innen eine Diskothek im Kulturhaus in Obhausen (Saalekreis), das bei Neonazis als ein „linker Treffpunkt“ galt. Gegen 23:30 Uhr stürmten plötzlich etwa 40 bis 50 Nazi-Skinheads aus dem Raum Halle und Bad Lauchstädt den Saal. Einige der Angreifer hatten sich vermummt und mit Baseballschlägern, Schlagstöcken und Schreckschusspistolen bewaffnet. Sie verschossen Leuchtspurmunition und Tränengas, zertrümmerten innerhalb kürzester Zeit mit Baseballschlägern die gesamte Einrichtung und gingen u.a. mit Schlagstöcken, Gläsern, Flaschen und Stühlen auf Besucher*innen los. Matthias Lüders und einer seiner Freunde schafften es im Gegensatz zu ihren Begleitern nicht mehr, hinter der Bar Schutz zu suchen.

Bis heute ist ungeklärt, wer Matthias Lüders den Schädel-Basis-Bruch und die Hirnquetschung zugefügt hat, an denen er knapp zweieinhalb Tage nach dem Angriff im Universitätsklinikum Halle starb. Sein Freund erlitt durch einen Schlag auf den Kopf eine Platzwunde – er ist einer von mindestens vier Menschen, die den Angriff mit zum Teil schweren Kopfverletzungen überlebten.

Ausgangspunkt für den gezielten Überfall war eine Schlägerei zwischen Nazi-Skinheads aus Halle und Diskobesuchern vor dem Kulturhaus Obhausen eine Woche zuvor. Dabei waren mindestens ein Nazi-Skin und zwei Diskobesucher verletzt worden. Weil sich die zahlenmäßig unterlegenen Skinheads dabei als Unterlegen sahen, hatten sie noch vor Ort angekündigt wiederzukommen. Der Vorfall hatte sich wie ein Lauffeuer unter den Skinheads aus Halle und Bad Lauchstädt herumgesprochen, welche die Niederlage nicht auf sich sitzen lassen und planten, gleich die kommende Disko mit ausreichend Kameraden anzugreifen. Zwei Tage davor war das auch dem Pächter der Disko zu Ohren gekommen. Als er die Polizei darüber informierte, wurde er beruhigt und Schutzmaßnahmen angekündigt. Eine am Tatabend zusätzlich eingesetzte Polizeistreife war dann auch kurz vor Ort, aber wenige Minuten vor Beginn des Überfalls wieder abgefahren.

 

Der Prozess gegen die Täter

Anfang Oktober 1993 begann der Prozess gegen einen einschlägig polizeibekannten 20-Jährigen vor der Jugendkammer am Landgericht Halle. Die Staatsanwaltschaft warf dem zur Tatzeit 19-jährigen Naziskin aus Halle (Saale), der nach dem Angriff mit seinem blutverschmierten Baseballschläger geprahlt hatte, u.a. Mord und schweren Landfriedensbruch vor. Während er in der Hauptverhandlung schwieg, hatte er in seiner polizeilichen Vernehmung zugegeben, mit dem Baseballschläger einen jungen Mann zu Boden geschlagen zu haben.

Eine Führungsfigur der halleschen Neonazis, der den Angriff mit einer Videokamera gefilmt hatte, sagte vor Gericht als Zeuge aus und stellte sich und seine Kameraden als unpolitisch dar. Andere Zeugen berichteten in den Hauptverhandlungen von Absprachen zum Aussageverhalten und schilderten einen katastrophalen Polizeieinsatz.

Am 25. Februar 1994 verurteilte das Landgericht Halle den Angeklagten nach dreißigtägiger Verhandlung wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung mit Todesfolge und Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Jugendstrafe von dreieinhalb Jahren. Dass er die tödlichen Verletzungen von Matthias Lüders verursacht hat konnte das Gericht jedoch nicht zweifelsfrei feststellen.

Zu den Hintergründen des Angriffs stellte die Jugendkammer lediglich fest, dass der „blitzartige Angriff“ eine Racheaktion für eine Auseinandersetzung zwischen nicht-rechten Jugendlichen und Skins vor der Diskothek in Obhausen eine Woche zuvor gewesen sei. Allerdings seien daran weder Matthias Lüders noch der Angeklagte beteiligt gewesen.

Die Staatsanwaltschaft Halle ermittelte gegen 25 weitere mutmaßliche Angreifer. Letztendlich wurden nur ein Dutzend Naziskins wegen Landfriedensbruchs zu Bewährungsstrafen verurteilt.

 

Öffentliches Gedenken

Wenige Tage nach dem gewaltsamen Tod von Matthias Lüders demonstrierten etwa 4000 Menschen nach Aufruf der neunten Klassen der Phillip-Müller-Oberschule in dem 10.000 Einwohner*innen-Ort Querfurt gegen rechte Gewalt. Viele Jahre erinnerten lediglich jährliche Gedenkposts öffentlich an Matthias Lüders und den brutalen Neonazi-Überfall. Seit 2020 engagieren sich beim „RATS-Kulturzentrum“ in Obhausen aktive junge Menschen in der Erinnerungsarbeit, errichteten temporäre Erinnerungsorte rund um den Todestag von Matthias Lüders in Abstimmung mit Angehörigen, organisierten Vorträge und Graffitiworkshops und haben Videos dazu erstellt und auf Social Media veröffentlicht. Es ist ihrem Engagement zu verdanken, dass der Gemeinderat von Obhausen Anfang 2023 einstimmig der Errichtung eines dauerhaften Gedenkortes am Tatort zugestimmt hat. Am 24. April 2023, 30 Jahre nach dem Tod von Matthias Lüders wurde die Gedenkplatte verlegt und drei Tage später bei einer öffentlichen Gedenkveranstaltung eingeweiht.

 

Matthias Lüders wird seit 2012 von der Landesregierung offiziell als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.