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21. März 2003 — 40 Jahre

Andreas Oertel starb am 21. März 2003 im Alter von 40 Jahren nachdem er über zwei Tage in seiner Wohnung in Naumburg von einer Gruppe misshandelt und ausgeraubt wurde.

 

Wer war Andreas Oertel?

Andreas Oertel wuchs in Halle (Saale) auf. Er war Einzelkind und seine Eltern sind früh verstorben. Seit Anfang der 1990er Jahre lebte er zunächst in einem Caritas-Wohnheim in Heiligenkreuz und später in Naumburg (Burgenlandkreis) in einer eigenen Wohnung. Nachdem bei ihm eine intellektuelle Minderbegabung sowie eine Alkoholabhängigkeit festgestellt worden waren, wurde ihm Ende 1994 ein Betreuer beigeordnet. Über zehn Jahre arbeitete er in einer Holzwerkstatt des Behindertenwerks der Caritas, wo er als zuverlässig und ordentlich galt.

 

Was ist passiert?

Alle Tatbeteiligten gehörten zu einer Gruppe von Jugendlichen, die sich regelmäßig auf dem sog. Jägerspielplatz in Naumburg traf. Gelegentlich stießen auch zwei 26- und 29-jährige Brüder dazu, um gemeinsam Alkohol zu trinken. Nachdem ein 15-Jähriger, der im selben Haus wie Andreas Oertel wohnte und von dessen Homosexualität wusste, gegenüber seiner Clique behauptet hatte, Andreas Oertel habe ihm Geld für sexuelle Handlungen angeboten, drangen zwei der Jugendlichen am Nachmittag des 20. März 2003 in Andreas Oertels Wohnung ein, um ihm eine „Abreibung“ zu verpassen. Sie traten ihm mehrfach ins Gesicht und gegen den Oberkörper. Anschließend nahmen sie seine Geldbörse mit und ließen Andreas Oertel mit zwei ausgebrochenen Schneidezähnen zurück.

Am späten Nachmittag des Folgetages prahlten die beiden vor ihrer Clique und den beiden erwachsenen Brüdern damit, den „Kinderficker“ zusammengeschlagen zu haben und verabredeten daraufhin eine weitere „Strafaktion“. Gegen 18:30 Uhr verschafften sich die Brüder und mehrere Jugendliche mit einem Trick Zugang zu Andreas Oertels Wohnung. Dort begannen die Jugendlichen, das Wohnzimmer zu durchsuchen, während zunächst die Brüder und später noch zwei weitere Jugendliche im Schlafzimmer massiv auf Andreas Oertel einschlugen und -traten. Währenddessen verließen erst ein Mädchen und kurz darauf ein Jugendlicher mit Lautsprechern die Wohnung. Am Ende raubte die Gruppe noch das letzte Bargeld, ein Dutzend Flaschen Bier und den Wohnungsschlüssel Andreas Oertels.

Zurück am Jägerspielplatz behauptete ein gerade erst Dazugekommener gegenüber der Clique, Andreas Oertel habe seiner 14-jährigen Schwester Geld für Nacktfotos angeboten. Daraufhin beschlossen acht aus der Gruppe, ihn erneut für sein „Fehlverhalten“ zusammenzuschlagen und seine Wohnung auszuräumen.

Am Wohnhaus angekommen, warteten zwei der Jugendlichen auf der Straße, während sich die anderen Zutritt verschafften. Sie fanden Andreas Oertel im Schlafzimmer vor. Hier schlugen die beiden erwachsenen Brüder mit verstärkten Fahrradhandschuhen auf den bereits schwer Verletzten ein. Ein 17-Jähriger verließ die Wohnung und wartete mit den anderen draußen. An den minutenlangen, massiven Schlägen und Tritten gegen Kopf und Rumpf ihres am Boden liegenden Opfers beteiligte sich mindestens einer der Jugendlichen. Als Andreas Oertel blutüberströmt und leblos dalag, durchsuchte die Gruppe die Wohnung erneut nach Wertgegenständen. Dann verließen sie den sterbenden Mann und nahmen u.a. weitere Bierflaschen, Lebensmittel und eine Stereoanlage mit. Andreas Oertel starb am Abend des 21. März an den schweren Kopf-, Gesichts- und inneren Verletzungen.

Es dauerte mehrere Tage, bis die Leiche von Andreas Oertel in der Wohnung entdeckt wurde.

 

Der Prozess gegen die Täter

Am 19. Dezember 2003 verurteilte die Jugendkammer des Landgerichts Halle drei weitgehend geständige, zur Tatzeit 15-Jährige zu Jugendstrafen zwischen achteinhalb und neun Jahren wegen schweren Raubes mit Todesfolge und gefährlicher Körperverletzung. Die Richter stellten fest, dass die Gruppe den 40-Jährigen für sein von ihnen behauptetes Fehlverhalten bestrafen, aber nicht töten wollte.

Der Prozess gegen die einschlägig wegen Körperverletzungsdelikten vorbestraften Brüder endete im August 2004. Der 26-Jährige war zur Tatzeit auf Bewährung. Sein älterer Bruder war erst vier Monate vor den tödlichen Misshandlungen aus der Haft entlassen worden. Das Landgericht Halle verurteilte die 26- und 29-Jährigen u.a. wegen Raubes mit Todesfolge und gefährlicher Körperverletzung zu Haftstrafen von 14 Jahren und sechs Monaten bzw. 15 Jahren.

 

Öffentliches Gedenken

Anlässlich des zehnten Todestages Andreas Oertels riefen die örtlichen LINKEN 2013 zu einer öffentlichen Mahnwache auf dem Marktplatz von Naumburg und einer Kranzniederlegung am ehemaligen Wohnhaus von Andreas Oertel auf. Es beteiligten sich rund einhundert Menschen.

 

Andreas Oertel wird von der Landesregierung nicht offiziell als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.