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Gärtnerlehrling, Magdeburg
11. Mai 1992 — 23 Jahre

Torsten Lamprecht wurde am 9. Mai 1992 im Alter von 23 Jahren bei einem Überfall von Naziskins auf Punks in Magdeburg tödlich verletzt. Er starb zwei Tage später, am 11. Mai 1992.

 

Wer war Torsten Lamprecht?

Torsten Lamprecht war 23 Jahre alt, als er am späten Abend des 9. Mai 1992 bei einem gezielten Überfall von Naziskins auf Punks im Magdeburger Ausflugslokal „Elbterrassen“ tödlich verletzt wurde. Er starb zwei Tage nach dem Angriff, am 11. Mai 1992, im Krankenhaus an einer schweren Schädelfraktur, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

Schon zu DDR-Zeiten war Torsten Lamprecht Punk. Freund*innen beschreiben „Lampe“ als einen zuverlässigen Freund mit einem ganz eigenen Sinn für Humor. Kurz vor dem Angriff hatte er eine Lehrstelle als Gärtner in Nordrhein-Westfalen erhalten, auf die er sich sehr freute.

 

Was ist passiert?

Etwa 30 Punks, darunter Torsten Lamprecht, feierten an diesem Abend den Geburtstag eines Freundes in dem Lokal im Stadtteil Cracau. Kurz vor Mitternacht wurde die Party gezielt von etwa 60, mit Baseballschlägern, Zaunlatten und Flaschen bewaffneten Naziskins und organisierten Neonazis angegriffen. Einer von ihnen schoss mit Leuchtkugeln auf die panisch fliehenden Gäste. Torsten Lamprecht tanzte auf der Tanzfläche zu lauter Musik, als er völlig ahnungslos mit einem Baseballschläger niedergeschlagen wurde. Ein weiterer Schlag verursachte die tödliche Verletzung. Während des 30-minütigen Angriffs riefen die Neonazis immer wieder Parolen wie „Sieg Heil!“ und „Heil Hitler!“ und verletzten mehr als ein Dutzend Besucher*innen zum Teil schwer. Zehn Partygäste mussten mit Gesichtsfrakturen, Schädelbrüchen und Hörschäden ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Die Polizei war an diesem Abend vorgewarnt, dass sich Neonazis zu einem Angriff auf die Party der Punks in der beliebten Kneipe verabredet hatten. Die erst mit einem und später mit drei Fahrzeugen vor Ort eintreffenden Beamten griffen jedoch auch nicht ein, als sie sahen, wie die Angreifer mit blutigen Baseballschlägern den Tatort verließen. Sie notierten weder Autokennzeichen noch unternahmen den Versuch, den flüchtenden Skins hinterherzufahren.

 

Die Prozesse gegen die Täter

Im Oktober 1992 begann vor der Jugendkammer am Landgericht Magdeburg der Prozess gegen fünf mutmaßliche Rädelsführer wegen Beteiligung an einer Schlägerei, Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung. Ein damals 21-jähriger, mehrfach vorbestrafter Neonazi aus Wolfsburg wurde wegen versuchten Totschlags angeklagt, weil er einen Partybesucher mit dem Baseballschläger auf den Kopf geschlagen hatte. Nach 15 Verhandlungstagen wurden alle Angeklagten am 14. Dezember 1992 zu Jugend- und Haftstrafen zwischen zwei und sechs Jahren verurteilt, wovon zwei zur Bewährung ausgesetzt wurden.

Der Wolfsburger Neonazi, der wegen versuchten Mordes zu sechs Jahren Haft verurteilt worden war, legte erfolgreich Revision ein. Ende Februar 1995 wurde er in zweiter Instanz zu vier Jahren Haft wegen gefährlicher Körperverletzung, Landfriedensbruchs und Beteiligung an einer Schlägerei verurteilt. Wer Torsten Lamprecht die tödliche Verletzung zugefügt hat, wurde bis heute nicht ermittelt.

Ende März 1993 verurteilte das Jugendschöffengericht Magdeburg drei weitere Täter wegen Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung zu Jugendstrafen zwischen zehn und 16 Monaten. In einem Fall wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Knapp eineinhalb Jahre nach dem Überfall, Ende Oktober 1993, wurden die verhängten Freiheitsstrafen gegen fünf weitere Naziskins in zweiter Instanz zur Bewährung ausgesetzt.

Prozessbeobachter*innen sprachen von einem „unglaublichen Versagen der Polizei“. Obwohl diese bereits im Vorfeld Informationen hatte, wurde lediglich ein Drittel der Tatbeteiligten überhaupt ermittelt. Zudem hatten die Neonazis genügend Zeit, ihre Aussagen vor Gericht miteinander abzusprechen und sich somit gegenseitig Alibis zu verschaffen. Und keiner der Polizisten, die in der Tatnacht untätig blieben, wurde zur Verantwortung gezogen. Mitte September 1994 stellte die Staatsanwaltschaft Magdeburg die Ermittlungen gegen sieben Beamte wegen fahrlässiger Tötung bzw. Körperverletzung sowie unterlassener Hilfeleistung ein.

 

Öffentliches Gedenken an Torsten Lamprecht

Zwei Wochen nach dem gewaltsamen Tod von Torsten Lamprecht organisierten Freund*innen von ihm einen Trauermarsch in Magdeburg, an dem sich rund 5.000 Menschen beteiligen: Punks, Antifas und Autonome aus dem gesamten Bundesgebiet demonstrierten gemeinsam mit Politiker*innen, Kirchenvertreter*innen und weiteren Bürger*innen der Stadt.

Erst mehr als zwanzig Jahre später – Anfang Mai 2013 – beschloss der Magdeburger Stadtrat mit großer Mehrheit als Kompromissvorschlag von SPD und Die Linke/Tierschutzpartei, einen Radwanderweg entlang eines Seitenarms der Elbe in Magdeburg-Cracau nach Torsten Lamprecht zu benennen, der am Grundstück der ehemaligen Gaststätte „Elbterrassen“ vorbeiführt. Antifaschist*innen und Freund*innen des Punks hatten sich für die Umbenennung der in unmittelbarer Nähe des Tatorts befindlichen „Brücke am Wasserfall“ in „Torsten-Lamprecht-Brücke“ eingesetzt. Das erschien der Stadtverwaltung jedoch unangebracht, da eine Mehrheit der Anwohner*innen in der Nähe des ehemaligen Tatorts eine Umbenennung der Brücke abgelehnt hätte.

Bei vielen Demonstrationen und anderen Aktionen wurde und wird von Punks und Antifaschist*innen an Torsten Lamprecht erinnert. Das „Bündnis gegen Rechts“ in Magdeburg organisiert ein jährliches Gedenken zu seinem Todestag in der Nähe des Angriffsortes.

 

Torsten Lamprecht wird seit 1993 von der Landesregierung offiziell als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.